Es war Aleix erster Tag in Los Angeles. Erst vor knapp zwei Stunden war er gelandet, machte sich allerdings nicht einmal die Mühe in ein Hotel einzuchecken auch wenn ihm eigentlich wenig der Sinn danach stand die Nacht im Haus seiner Familie zu verbringen – die sich gerade um eine Person dezimiert hatte.
Allerdings traf das den Sportler weniger als man vermuten würde, denn das Verhältnis zu seinem Vater war nie wirklich gut gewesen und war vor gut sieben Jahren gänzlich eingefroren und einfach abgestorben. Der Rest seiner Familie wusste das, wohl einer der Gründe wieso nie jemand versucht hatte diese Vater-Sohn-Beziehung wieder zu kitten, selbst seine immer so sorgenvolle Schwester hatte die Füße still gehalten und der Spanier fand seinen ersten Grund froh zu sein sich plötzlich in Spanien wiederzufinden. Doch war das eine ganze Weile der einzige Positive gewesen, während er das erste Mal im Gästezimmer seines Onkels lag und die terracottafarbene Decke anstarrte und wusste, dass dies keiner der sonst so gelösten Wochen war die er in den Ferien hier verbrachte, sondern er bleiben würde. Lange, insofern er nicht erneut in Amerika auf der Straße sitzen wollte.
Das seine Gedanken dabei nicht seiner Familie oder seinem Freundeskreis galten war – zumindest für Wissende – mehr als verständlich, denn Aleix hatte die einzige Person verlassen müssen, die ihm wirklich etwas bedeutete und es geschafft hatte, eine völlig andere Seite in ihm freizulegen. Eine die zwar immer irgendwie dagewesen war, aber ganz offensichtlich auf die richtige Person gewartet hatte. Ein Jahr hatten sie miteinander verbringen können, mit Unmengen Höhen und Tiefen die der Dunkelhaarige bereitwillig in Kauf genommen hatte und immer noch war er sich sicher, dass er alles für ihn in Kauf genommen hätte. Und das zeigte wohl auch die Situation in der er nun steckte, denn er hatte ihn verlassen um ihn vor der Psychiatrie zu schützen – ein Ort vor dem er immer besonders Angst gehabt hatte und den Aleix ihm schlichtweg ersparen wollte. Dass das so nicht funktioniert hatte, hatte er nie erfahren...
Der Gedanke an seinen Freund war geblieben, anfangs intensiver und irgendwann schlichtweg unterdrückt, vergraben in seinen Gedanken, während er dem Satz 'Pech in der Liebe, Glück im Spiel' schon fast etwas zu sehr folgte. Kaum in einer der hiesigen Footballteams entdeckt nachdem er nun ein Jahr in Spanien 'fest saß', erklimmte er die Karriereleiter als 'vielversprechender Newcomer' und enttäuschte hier niemanden, der Hoffnungen auf ihn setzte. Für Aleix die perfekte Ablenkung, fasste er Fuß, verdiente sein eigenes Geld und fand sich weitere sechs Jahre später in seinem eigenen, geräumigen Haus wieder, immer noch in Spanien und – wieder – allein als ihn die Nachricht seiner Schwester erreichte – beinahe zu spät, denn keine 24 Std. später sollte die Beerdigung seines Vaters stattfinden. Fast wäre er nicht geflogen.
Doch jetzt war er dennoch hier.
In einem Taxi hatte er sich auf den Weg gemacht und kaum aus jenem ausgestiegen und seinen Koffer herausgehoben, spürte er die schmalen Arme seiner Schwester an seiner Taille, die sich von hinten um den trainierten Körper legten und nur Sekunden später folgte ein Schluchzen, dass Aleix die Luft tief einatmen und kurz halten ließ, bevor er die Hände an seinem Bauch von diesem hob um den Griff zu lockern und sich in der Umarmung zu drehen, um seine Schwester schlussendlich selbst in die Arme schließen zu können.
„Eli, hör auf zu weinen~“ Eine Hand gehoben, um ihr sacht über den blonden Schopf zu streichen löste das nur ein weiteres Schluchzen aus und einige Sekunden stille, bevor doch noch Worte folgten.
„Ich hab dich sechs Jahre nur im Fernsehn gesehen!“, folgte jammernd, während der Griff fester wurde.
„Ich hab dich gar nicht gesehen, trotzdem heul ich nicht rum.“ Trotz der eher harschen Worte die er wählte, strahlte seine Stimme etwas liebevolles aus. Eben wie er schon immer mit seiner kleinen Schwester gesprochen hatte. Sacht drückte er ihr einen Kuss auf den Haarschopf - wie er es eben immer getan hatte.
„Lass uns rein gehen, wie geht es Mum?“
Kaum das Elena sich von ihm löste spürte er das vibrieren seines Handys in der rechten Hosentasche, dass er gleich aus eben jener zog um auf das Display zu sehen, kaum das er kurz mit dem Zeigefinger darauf getippt hatte. Eine hochgezogene Braue folgte als er einen Namen sah, den er ziemlich lange nicht mehr gesehen hatte. TJ.
Gerade das Wort an Elena richten wollend, die allerdings schon auf dem Weg zur Türe war, lass er nur die Nachricht und wiederholte gedanklich die wichtigsten Details. Pomona Fairplex. Sicher ein Platz dem niemand unbekannt war. 'Rechts der großen Bühne – 19.30 Uhr'
Warum er sich ausgerechnet an der Bühne mit ihm treffen wollte war Aleix zwar ein Rätsel, aber er antwortete mit einem 'Alles klar, bis später.' und steckte das Handy wieder weg. Vielleicht keine schlechte Idee, alte Freunde wiederzusehen. Kaum zu vermeiden, dass ihm für eine Sekunde jemand anderes in den Sinn kam, bevor er seiner Schwester hinein folgte...
Frisch geduscht in schwarzer Jeans, lockerem Shirt und einer Cap – falsch herum aufgesetzt – hatte er sich früh genug auf den Weg gemacht, um um etwa 19 Uhr am Eingang des Fairplex zu stehen und seinen Blick über die Menschenmassen zu wandern zu lassen, von denen sich die Meisten noch auf dem nahen Jahrmarkt aufhielten, während andere sich auf den Weg zu der Bühne machten, auf dem man bereits aus der Ferne einen Soundcheck ausmachen konnte – offenbar wechselte gerade die Band, mehr Gedanken machte sich Aleix jedoch nicht um die Musik die vielleicht folgen würde.
Stattdessen nur ein letzter Blick auf sein Handy geworfen machte er sich auf den Weg durch das Gedränge, dass – umso weiter drinnen, deutlich dichter zu werden schien und sich an manchen Stellen förmlich sammelte und das durchkommen schwierig gestaltete. Wohl auch einer der Gründe, wieso der Spanier definitiv unabsichtlich jemanden anrempelte, zu dem er kurz den Blick umwandte ohne wirklich im Laufen inne zu halten. Dennoch folgte ein 'Entschuldigung!' und ein prüfender Blick, bei dem er nicht nur wahrnahm,dass offenbar nichts passiert war, sondern das die Frau in dem Pullover auch noch ein Fischglas mit sich herumschleppte. Vielleicht von einer der Stände des Jahrmarkts?
Doch der Gedanke verflog schnell wieder kaum das der Blick wieder nach vorn gerichtet wurde und während Aleix das Glück hatte, offenbar unerkannt zu bleiben, schob er sich weiter durch die Menge und hielt erst als er fast an der Bühne angekommen einen Getränkestand entdeckte.
Eine Cola in einem Becher fand den Weg in seine Hand und kaum bezahlt ging er weiter, nun deutlich Ausschau haltend nach seinem damals besten Freund, von dem er nicht glaubte, dass er sich wirklich verändert hatte. Weder äußerlich noch charakterlich.
Suchend die anwachsende Menschenansammlung an der Bühne durchwandernd hielt er an besagtem Treffpunkt und hob gerade den Becher an die Lippen als die Band zu spielen begann. Nichts was die Aufmerksamkeit des Sportlers auf sich zog, zumindest so lange nicht bevor nicht die ersten Worte des Sängers folgten, die in zuerst leicht die Stirn in Falten legen ließ. Am Becher genippt ließ er jenen sinken bevor sich der Blick hob und er gleichzeitig dem Gesang lauschte.
„...𝐼'𝓂 𝒿𝓊𝓈𝓉 𝒶𝓁𝓁 𝒻𝓊𝒸𝓀𝑒𝒹 𝓊𝓅 𝒶𝓃𝒹 𝐼 𝓇𝑒𝒶𝓁𝓁𝓎 𝓃𝑒𝑒𝒹 𝓎𝑜𝓊𝓇 𝒽𝑒𝓁𝓅
𝐼 𝓇𝑒𝒶𝓁𝓁𝓎 𝓃𝑒𝑒𝒹 𝓎𝑜𝓊𝓇 𝒽𝑒𝓁𝓅...“
Sein Blick wanderte die Bühne hinauf an den daneben aufgebauten Boxen vorbei, erfasste erst den ihm unbekannten Gitarristen an der rechten Seite.
„...𝒯𝒽𝑒𝓇𝑒'𝓈 𝒶 𝓁𝑜𝓉 𝑜𝒻 𝒽𝑜𝓁𝓁𝑜𝓌 𝓈𝑜𝓊𝓁𝓈 𝑜𝓊𝓉 𝓉𝒽𝑒𝓇𝑒 𝒶𝓁𝓁 𝒶𝓁𝑜𝓃𝑒
𝒜𝓃𝒹 𝓉𝒽𝑒𝓎'𝓇𝑒 𝓌𝒶𝒾𝓉𝒾𝓃𝑔 𝒻𝑜𝓇 𝓎𝑜𝓊 𝓉𝑜 𝒾𝓃𝓋𝒾𝓉𝑒 𝓉𝒽𝑒𝓂 𝒷𝒶𝒸𝓀 𝒾𝓃𝓉𝑜 𝓂𝓎 𝒽𝑜𝓂𝑒...“
Nachdenklich bildete sich eine Falte zwischen den dunklen Augenbrauen als er inne hielt und nur noch zuhörte – ohne direkt irgendwo hinzusehen.
„....𝒯𝒽𝑒𝓎 𝓉𝑜𝓊𝒸𝒽𝑒𝒹 𝒶𝓃𝒹 𝓉𝒽𝑒𝓎 𝓉𝑜𝑜𝓀 𝓌𝒽𝒶𝓉 𝓌𝒶𝓈 𝓇𝒾𝑔𝒽𝓉𝒻𝓊𝓁𝓁𝓎 𝓂𝒾𝓃𝑒
𝒩𝑜𝓌 𝐼'𝓂 𝓉𝒽𝑒 𝒹𝑒𝓋𝒾𝓁 𝒶𝓃𝒹 𝓉𝒽𝑒𝒾𝓇 𝓈𝑜𝓊𝓁𝓈 𝒿𝓊𝓈𝓉 𝓌𝑒𝓃𝓉 𝓊𝓅 𝒾𝓃 𝓅𝓇𝒾𝒸𝑒 ...“
Seine Augen zuckten hoch, setzten wieder an und der Kopf bewegte sich weiter nach links, bis das dunkle Augenpaar einen tätowierten Arm erfasste, diesem schon fast von der Hand hinauf bis zur Schulter folgte, bis der Blick an den braunen Haarspitzen ankam und schlussendlich im Gesicht des Sängers landete.
„...𝓢𝒆𝓽 𝓶𝒆 𝒇𝓻𝒆𝒆
𝓘 𝓽𝓱𝓲𝓷𝓴 𝓘'𝓶 𝓰𝓲𝓿𝓲𝓷𝓰 𝓾𝓹
𝓓𝓸𝓷'𝓽 𝔀𝓪𝓲𝓽 𝒇𝓸𝓻 𝓶𝒆
𝓘 𝓽𝓱𝓲𝓷𝓴 𝓘'𝓿𝒆 𝓱𝓪𝓭 𝒆𝓷𝓸𝓾𝓰𝓱
𝓔𝓷𝓸𝓾𝓰𝓱, 𝓷𝓸𝔀
Die Lippen Aleix' öffneten sich einen Spalt als er eigentlich gerade den Becher wieder anheben wollte und diesen gleich wieder sinken ließ, während sein Blick das Gesicht fixierte, dass er gerade entdeckt hatte – und das ihm mehr als bekannt war. Etwas älter, ja, und er hatte sich durchaus verändert. Aber grundsätzlich sah er eben genau die selbe Person vor sich, die er damals unfreiwillig hatte zurück lassen müssen.
Er starrte einfach nur, konnte den Blick nicht von ihm abwenden, während sein Kopf verrückt spielte und immer wieder der Name des Mannes hindurch wanderte, den er hier am Wenigsten erwartet hatte – und der jetzt kaum zu ignorieren war. Das ihm sein Herz bis zum Hals schlug bekam er dabei nur nebensächlich mit als ihm der Becher aus der Hand rutschte – und die Cola auf dem Boden und in seinem Umfeld an diversen Hosenbeinen verteilte und nicht nur böse Blicke erntete als er selbst kurz abgelenkt fluchte und einen Schritt zur Seite machte, bevor er zurück auf die Bühne sah.
Er stand immer noch dort, er bildete sich seinen Freund tatsächlich nicht ein.